Was spricht gegen Tele-Rehasport.

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Tele-Rehasport: Was dagegen spricht.

17.April 2020  

In diesem Beitrag fasse ich drei Argumente zusammen, die gegen Tele-Rehasport vorgebracht werden und begründe jeweils, warum es trotzdem sinnvoll sein könnte, Reha- und Gesundheitssport online zu bringen.

Mit der Max13 GmbH haben wir in den letzten drei Wochen mehrere Kunden zur Frage beraten, wie sich Gesundheit- und Rehasportkurse online anbieten lassen. Das Ergebnis ist das Komplettpaket für Rehasport-Anbieter.

Spannende Fragen, die immer wieder wichtig waren: Funktioniert das überhaupt? Passt das zur Zielgruppe? Ist es nicht sogar gefährlich, wenn Senioren zu Hause Sport machen?

Tele-Rehasport: Wir sind dagegen.

Die Haltung der Verbände, die für Behinderten- und Rehasport verantwortlich sind, sind eindeutig: „Der Deutsche Behindertensportverband hält Online-Rehabilitationssport grundsätzlich für ungeeignet, spricht sich in der derzeitigen Situation jedoch für eine befristete und überbrückende Maßnahme aus. Schließlich stellen die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus auch für die Durchführung des ärztlich verordneten Rehabilitationssports eine Ausnahmesituation dar.  Diese erfordert von allen Beteiligten innovative Maßnahmen und lösungsorientierte Ansätze.“

Es gibt aber auch Ausnahmen, wie z. B. den Landessportbund in NRW, der sich vehement gegen Tele-Rehasport ausspricht. Aus meiner Sicht ein fatales Signal in der aktuellen Lage – zumal die Krankenkassen bereits eine Kostenübernahme zugesagt haben, was in der aktuellen Situation für viele Anbieter überlebensnotwendig sein könnte.

Für mich ist das interessant, weil ich mich mit meinem Team hier mit Fragen auseinandersetze, die es so in ähnlicher Form in allen Digitalisierungsprojekten gibt. Ich fasse hier drei Argumente zusammen, die immer wieder genannt werden und antworte darauf.

1.) Online sind soziale Beziehungen weniger intensiv. Es kann kein „Gruppengefühl“ entstehen, Mimik und Gestik fehlt.

Der Landessportbund spricht von „positiven biopsychosozialen Effekte des Rehabilitationssports“, die online nicht abgebildet werden können. Die Pädagogen würden das „gruppendynamische Prozesse, die Entwicklung und Lernen fördern“ nennen.

Das Argument wurde sozialpsychologisch hinreichend untersucht mit der Hypothese: Medienvermittelte Kommunikation ist weniger reichhaltig und deshalb defizitär. Und aus unsere Alltagserfahrung der letzten Wochen können wir dem zustimmen: Ein virtuelles Bier ersetzt nicht den echten Biergarten.

Aktuelle Sozial- und Medienpsychologie argumentiert differenzierter: Digitale Kommunikation kann sogar zu intensiveren Beziehungen in einer Gruppe führen. Weil Hinweisreize fehlen, werden die Informationen, die verfügbar sind umso stärker wahrgenommen und interpretiert. Gleichzeitig bin ich näher dran. Ich nehme die Teilnehmenden in ihrem häuslichen Umfeld wahr. Außerdem haben wir es in der Regel mit Gruppen zu tun, die sich schon kennen. Im Digitalen kann an Erfahrungen aus dem Anlogen angeknüpft werden.

Fazit: Eine digitale Gruppe zu moderieren, sodass sich alle wohlfühlen und ein Gruppengefühl entsteht, setzt eine hohe Kompetenz der leitenden Person voraus. Trainerkompetenzen aus dem analogen Bereich lassen sich nicht eins-zu-eins digital anwenden.

2.) Ältere Menschen sind mit der Technologie überfordert.

Beide Argumente sind zunächst richtig. Wichtige Aussagen liefert hier aber die Forschung zur Technologieakzeptanz. Hier konnten zwei relevante Variablen identifiziert werden, die voraussagen können, ob eine neue Technologie genutzt wird. Zum einen, die wahrgenommene Nützlichkeit der Technologie, zum anderen die wahrgenommene Einfachheit der Nutzung. Wenn ich von beidem überzeugt bin, dann habe ich eine positive Einstellung zu Technologie und werde sie dann auch nutzen.

Die wahrgenommene Nützlichkeit können wir einfach beeinflussen. Wenn das Smartphone die einzige Möglichkeit ist, mit anderen in Kontakt zubleiben (und am Rehasport teilzunehmen), ist klar, welchen Nutzen die Technologie hat. Bei der Einfachheit ist wichtig: Es geht nicht um die tatsächliche Benutzerfreundlichkeit. Es geht darum, ob ich glaube, dass die Technologie einfach ist. Statt vor der hohen Komplexität und den Risiken von Technologie zu warnen, sollten wir deshalb überlegen, welche Supportangebote braucht es, damit Technologie zugänglich ist.

Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen: Auch und gerade ältere Menschen sind erstaunlich schnell begeistert und fit in der Bedienung technischer Geräte. Voraussetzung ist das klar ist, was ein Gerät kann und was nicht, und wozu ich es nutze. Schönes Beispiel ist die Enkelin, die Ihrem Großvater ein fertig konfiguriertes Handy schickt und in einer handgeschriebenen Anleitung Schritt-für-Schritt erklärt, wie ein Videoanruf auf WhatsApp geht.

Fazit: Vor der Komplexität digitale Medien zu warnen ist kontraproduktiv. Wichtig ist, Hilfeangebote zu schaffen (z. B. eine verständliche und bebilderte Installationsanleitung) und dafür zu sorgen, dass sich die Multiplikatoren, also z. B. die Trainer oder Lehrpersonen, auskennen und Hilfestellung geben können.

3. Wer die Technologie nicht bedienen kann, ist ausgeschlossen.

Ja. Die Technologien, die wir nutzen, sind nicht immer inklusiv. Das fängt bei der Bedienung an. Wer Schwierigkeiten mit der Feinmotorik hat, tut sich schwer damit, auf einem Touchdisplay ein Passwort mit 10 Zeichen inkl. Sonderzeichen einzugeben. Auch im Blick auf die Zugänglichkeit von Informationen, müssen wir uns um Inklusion bemühen. Die in englischer Sprache formulierte Support-Seite eines Softwareanbieters ist nicht für alle Menschen gleich gut verständlich.

Die Lösung, deshalb auf die Nutzung von Technologien zu verzichten, halte ich für falsch. Im Gegenteil: Durch die breite Nutzung von digitalen Kommunikationstechnologien wächst der Anspruch, sie wirklich allen Menschen zugänglich zu machen. Gleichzeitig gibt es genügend Beispiele, in denen digitale Technologie Barrieren abbaut.

Ein Beispiel: Mehrere Anbieter von Videokonferenzsoftware arbeiten daran, Videokonferenzsysteme wie z. B. Zoom oder AlphaView mit „Dolmetscher-Funktionen“ auszustatten. Hier wird das gesprochene Wort in geschriebenen Text übersetzt, eine Hilfe z. B. für schwerhörige Menschen oder Menschen, die die Sprache der Mehrheit in einer Besprechung nicht sprechen. Anders Beispiel: Die Sprachsteuerung von mobilen Geräten ermöglicht die Zugänglichkeit zu Informationen, auch wenn z.B. ein Touchscreen nicht bedient werden kann.

Fazit: Die Nutzung digitaler Technologien mit dem Verweise auf die fehlende Zugänglichkeit für alle zu unterbinden ist kontraproduktiv. Je mehr Leute digitale Technologien nutzen, desto wichtiger ist, Zeit und Geld in die inklusive Zugänglichkeit zu investieren.

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